Eine Reise durch die Jahrhunderte der Stile (Teil 1)

A Journey Through the Centuries of Styles (Part 1)
Bewundern Sie antike Stühle und Designklassiker in Museen, Ausstellungen, Galerien, Antiquitätengeschäften und Flohmärkten. Diese Orte zeigen die historischen und kulturellen Geschichten von Sitzmöbeln, die die vorherrschenden Moden und gesellschaftlichen Geschmäcker im Laufe der Jahrhunderte widerspiegeln.

Von der eleganten Sgabello und Chaise Caquetoir der Renaissance bis hin zu den opulenten Louis-XIV-Fauteuils des Barock, die Designs jeder Epoche offenbaren den Einfluss architektonischer und künstlerischer Trends. Die Erkundung dieser Stile bietet Einblicke in die sich wandelnden Ästhetiken und das Handwerk der Sitzmöbel im Laufe der Geschichte.

Eine Reise durch die Jahrhunderte der Stile (Teil 1)

Wo lassen sich antike Stühle und Designklassiker am besten bestaunen? Natürlich beim Besuch eines Museums, einer Ausstellung, eines Schaudepots, auch in einer Galerie, im Antiquitätengeschäft oder auf dem Flohmarkt. Diese Orte sind Begegnungsstätten und Vermittlungsorte von Historie, kulturellem Wissen und individuellen Geschichten rund um ihre Akteure. Doch die Vielfalt der Entwürfe und Gestaltungsformen überfordern den ein oder anderen Betrachter. Daher ist es hilfreich einen Blick in die Stilgeschichte des Sitzmöbels zu werfen. Die Epochen erzählen den zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext der Stühle und geben Aufschluss über deren gestalterische Entwicklungen.

 

Allgemeine Kriterien und Bezugspunkte

Seit Jahrhunderten ändert sich immer wieder aufs Neue die vorherrschende Mode, der Zeitgeschmack sowie die Auffassungen, welcher Stil aktuell prägend ist. Manchmal bestehen auch mehrere Einflüsse und Stile parallel nebeneinander. In jedem Fall aber korrespondieren die stilistischen Ausprägungen mit der Kulturentwicklung, den geschichtlichen Ereignissen und dem Zeitgeist. Demnach sind charakteristische Typen und Modelle von Sitzmöbel innerhalb der jeweiligen Epochen entstanden. Der Stil ist dabei eine Ausdrucksform, die anhand von Kriterien den Geschmack bestimmt. Bei Sitzmöbeln können einige Kriterien zur Einordnung ausgemacht werden: Es spielen etwa die verwendeten Materialien eine Rolle, ebenso die Art der Verarbeitung, die Formgebung des Möbels sowie einzelner Bestandteile (z.B. Beine, Fußabschlüsse usw.), die Beschaffenheit von Zierelementen wie Ornamentik, Schnitzereien und Intarsien, die Art der Polsterung wie auch die Bandbreite von Bezugsstoffen.

 

Die verschiedenen Stile der Sitzmöbel können nicht nur für sich begriffen werden, sondern sie stehen auch in Beziehung zu den jeweiligen Architektur- und Kunststilen ihrer Zeit und werden von diesen beeinflusst. Das Sitzmöbel weist vor allem zwei Bezugspunkte auf, die eine Analogie zur Architektur und Kunst bilden. Bei einem Sitzmöbel wirkt sowohl ein konstruktives als auch ein dekoratives Element. Korpus und Gestell bilden die tragende Funktion, sind die Grundlage und orientieren sich oft an Vorbildern architektonischer Bauweisen. Die Ausgestaltung des Möbels fungiert als Kleid und erzeugt damit das ästhetische Erscheinungsbild. Dies wird gerade von Stilrichtungen aus der Textilmode und Inneneinrichtung beeinflusst. In diesem Sinne erfährt das Sitzmöbel im Laufe der Zeit häufiger eine Umgestaltung als andere Möbeltypen, weil es als bewegliches Möbelstück sich leichter den Änderungen des Geschmacks anpassen lässt.

 

Beginn der neuzeitlichen Stilkunde – die Renaissance

Ausgehend von Florenz setzte im 14. Jahrhundert die Renaissance ein – eine kulturelle Strömung, die sich bis ins 17. Jahrhundert über ganz Europa ausbreitete. Die italienische Blütezeit des kulturellen und wirtschaftlichen Aufstiegs zeigte sich besonders in der Architektur und dem Möbeldesign. Prägendes Beispiel hierfür war der Palazzo mit hohen, hellen Räumen, reichem Dekor in Form von Freskenmalerei, aufwändigen Wandbehängen oder geschnitzten Decken. Aus heutiger Sicht waren diese Räume allerdings nur spärlich möbliert und Stühle hatten meist ihren Platz an der Zimmerwand.

Besonders drei Typen waren im 15. Jahrhundert in Italien populär:

  • der Brettstuhl mit hoher verzierter Rückenlehne auch als Sgabello bezeichnet
  • der Scherenstuhl, der auf das antike Vorbild des x-beinigen Falthockers zurückgeht und aus zwei scherenförmigen, über ein Mittelgelenk verbundene Holzstreben besteht
  • der Florentiner Wandsessel mit partieller Polsterung.

Von der Konstruktion waren diese Modelle überwiegend schlicht. Die Ausführungen in Form von Schnitzereien, Vergoldungen und Polsterungen nahmen dagegen zu und wurden immer vielfältiger. Einen guten Überblick über die verschiedenen Modelle der Renaissance zeigt die Online Collection des Metropolitan Museum of Art (siehe: https://www.metmuseum.org/art/collection/search?q=Renaissance+chair&geolocation=Italy)

Ein Regal mit vielen Antiquitäten

Mit Beginn des 16. Jahrhunderts zeigten sich erste Merkmale der Renaissance in Frankreich. Der imposante gotische Thronsessel – mit der Eigentümlichkeit von Spitzbögen, Türmchen und Rosetten – wurde von einer leichteren Version mit niedriger Rückenlehne und offenen Seitenteilen abgelöst. Statt Eichenholz wurde von nun ab häufig Nussbaumholz verwendet, das sich gut für Reliefschnitzereien eignete. Anregungen für die Gestaltung gingen insbesondere von Architekturornamenten der damaligen Zeit aus, wie zum Beispiel Rankenwerk, runde Arkanthusblätter oder Wappenmotive. Das Schnitzdekor war von exotischen Tieren, Fabelwesen oder Karyatiden geprägt.

Ein typisches Sitzmöbel aus der französischen Renaissance ist die chaise caquetoir, der sogenannte Plauderstuhl. Dieser Typus verfügte über eine hohe, schmale Rückenlehne, eine breite, trapezförmige Sitzfläche und gebogene Armlehnen – ein Sitzmöbel das speziell von Damen mit ausladenden Röcken zur Konversation verwendet wurde. Damit zeigte sich auch eine Tendenz zu mehr Komfort, die sich vor allem im Laufe des 17. Jahrhunderts und der Spätrenaissance noch weiter verstärkt. So wurden die Stühle mit gepolsterten Rückenlehnen und Sitzen, mit aufwendigen Seiden- und Wollstoffen sowie mit ersten Formen von Posamenten versehen.


In Nordeuropa, speziell in England, verdrängten die Einflüsse der Renaissance nur zögerlich die Traditionen des dortigen Möbelbaues. In erster Linie zeigten sich Veränderungen bei der Dekoration und Ornamentik der Möbelfüllung. Erst im 17. Jahrhundert verlor der häufig verwendete Kastenstuhl an Massivität. Die Hauptmerkmale dieses traditionellen Typus waren bis dahin die Zapfenverbindungen, die gerahmte Täfelung in der Rückenlehne und die geschlossene Rahmenform. Im Zuge der Neuerungen verlor der Stuhl die Seitenpaneelen und erhielt damit einen offenen Unterbau. Das dekorative Augenmerk lag in der Gestaltung der Rückenlehne, anmutend einer Vertäfelung, weshalb der Typus als Wainscot Stuhl bekannt ist. Durch die handwerkliche Entwicklung der Drehbank kamen zudem vermehrt gedrehte Vorderbeine in Mode.

 

Die barocke Opulenz im 17. Jahrhundert

Als parallele Entwicklungsphase zur Spätrenaissance setzte die barocke Epoche beginnend um 1620 ein. Diese Stilrichtung breitete sich wieder über gesamt Europa aus, mit verschiedenen zeitlichen und künstlerischen Ausprägungen. Ausgangspunkt für die barocke Entfaltung war erneut Italien, wo Prachtbauten mit prunkvollem Interior im Auftrag der katholischen Kirche entstanden. In der Folge avancierte der Repräsentationscharakter – sprich die Verwendung von üppigen, überladenen Formen und kostbaren, exotischen Materialien – zu einem wesentlichen Element der barocken Stilrichtung, weshalb auch oft vom höfischen Barock die Rede ist. Das Statussymbol par excellence war der gepolsterte Armlehnstuhl mit hoher Lehne, verziert mit Schnitzereien und vergoldet.

 

Zu einem Zentrum der barocken Möbelkunst entwickelt sich Frankreich, insbesondere durch die Herrschaft von Ludwig XIII. (1610-1643) und dem Sonnenkönig Ludwig XIV. (1643-1715). Dafür sorgte auch die Akquirierung von den besten Kunsthandwerkern dieser Zeit, die einzig dafür zuständig waren, die Prunkräume der Paläste auszustatten. Im Zuge dieser Entwicklung erlebte das Sitzmöbel eine vielfältige und besonders opulente Ausgestaltung. Sitzmöbel, die in erster Linie der Repräsentation dienten, wurden von diesem Zeitpunkt ab in ihren Dimensionen breiter, aufwändiger gepolstert und mit den edelsten Bezügen versehen, darunter Brokat, Seide, Samt und Gobelin. Die Mode umfasste auch eine Vielzahl von Motiven aus Flora und Fauna sowie dem Grotesken, was sich vor allem im Schnitzwerk von Beinen und Armlehnen zeigte. Zudem entwickelte sich eine Vorliebe für vergoldete Sitzmöbel – ein Paradebeispiel ist hierfür ein Fauteuil à la reine aus Schloss Versailles (siehe https://www.metmuseum.org/art/collection/search/207406). Der Typus des Fauteuils mit offenen Seitenteilen basierte auf einem grazilen Gestell, einer gepolsterten Sitzfläche sowie Rückenlehne; zudem waren der Rahmen oder das Sitzhaupt als auch Arme und Beine meist mit Schnitzwerk verziert.

In England gestaltete sich der barocke Stil anfangs hingegen etwas zurückhaltender. Doch wurden zunehmend barocke Einflüsse vom Festland auf die Insel getragen, sodass das Kunsthandwerk von der neuen Mode inspiriert wurde. Als eine sehr beliebte Form galt ein Stuhl mit Flechtwerk in der Sitz- und Rückenfläche, umgeben von gedrehten oder spiralförmigen Säulenelementen. Im Sammlungsbestand des Victoria and Albert Museum in London befinden sich einige Vertreter dieses Typus (siehe z.B. https://collections.vam.ac.uk/item/O77701/armchair-unknown/), die auch in den Niederlanden verbreitet waren. Darüber hinaus gelangte der Louis-quartorze-Stil über die Niederlande nach England, was für kunstvoll geschnitzte und teils durchbrochene Rückenlehnen wie auch üppig geschwungene Vorderbeine sorgte, die auf den Einfluss von Daniel Marots verwiesen.


Mit dem Ende des 17. Jahrhunderts ging die barocke Stilrichtung in die Spätphase über und dauerte noch bis circa 1720 an.

Doch deutete sich mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts bereits eine Übergangsphase an, da die Machtverhältnisse in Europa neu verteilt wurden und für die bürgerliche Schicht begann durch den beginnenden Wohlstand ein neues Kapitel. Es wurden nicht mehr nur Königspaläste gebaut und ausgestattet, sondern auch Herrenhäuser und Landsitze für den Adel und reiche Kaufleute. Aufgrund des wachsenden Handels entwickelte sich ein beträchtlicher Bedarf für schönes, wohnliches und auch bequemes Mobiliar. Dabei wurden die teils strenge Formgebung sowie die überladene Pracht von einem leichteren Stil verdrängt, der die Phase zwischen Spätbarock und Rokoko markiert.

 

Die Régence-Zeit in Frankreich

Der Tod von Ludwig XIV. hatte für Frankreich einen Regentschaftswechsel zur Folge. Für den noch im Kindesalter begriffenen Thronfolger, den späteren Ludwig XV., übernahm von 1715 bis 1723 der Herzog Philippe von Orléans die Herrschaft über Frankreich. Während dieser Phase erlebte besonders die Innenarchitektur einen Wandel. Die Sitzmöbel der Régence-Zeit waren Ausdruck vom Abrücken der formalen Strenge bei Hofe und standen für eine gewisse Zwanglosigkeit und Geselligkeit, die durch den Herzog von Orléans bewirkt wurde. Es kam daher ein sinnlicher, asymmetrischer und geschwungener Stil in Mode, der ein Wegbereiter für die Stilistik des darauffolgenden Rokokos war.

Infolgedessen waren stilistische Veränderungen der Sitzmöbel logische Konsequenz. Das Erscheinungsbild der Stühle präsentierte sich zierlicher und leichter, da diese von nun ab häufig auch als Salonmöbel mittig im Raum platziert wurden und als Ort für gesellschaftliche Konversation dienten. Durch die modischen Einflüsse der Damenwelt – wie ausladende Reifröcke und voluminöse Perücken - bedurfte es einer weiteren Anpassung. Die Sitze der Fauteuils wurden breiter, die Armlehnen verkürzten sich und die Rückenlehnen verloren an Höhe. Ein wichtiges Stilelement des Régence betrifft zudem die Beingestaltung der Stühle und Sessel: Die geschwungene Form wurde maßgebend, welche zusätzlich einen leichten Charakter des Möbels vermittelte. Weiter entstand aus dem Wunsch nach mehr Bequemlichkeit ein neuer Typus, die Bergère. Dabei handelte es sich um einen Armlehnsessel mit Polsterung im Sitz, Rücken und Seitenbereich der Armelehnen. Beliebte Gestaltungsmotive waren nach wie vor Ornamente von Masken, Muscheln, Palmetten und Arkanthusblättern, die sich als feines Schnitzwerk an den Möbeln wiederfanden.

Ein schlichter, aber eleganter Régence-Fauteuil bestand zum Beispiel aus Buchenholz, verfügte über einen leicht geschwungenen Abschluss der Rückenlehne, über kunstvolle Cabriole-Beine mit Querstreben in Form einer Armbrust, über geschweifte Sitzrahmenzargen und verkürzte Armlehnen. Das Schnitzdekor des Stuhlrahmens sorgte für ästhetische Strahlkraft. Die Sitz- und Rückenfläche waren meist mit feinem Rohr geflochten. Für die Bequemlichkeit diente ein eingelegtes Sitzkissen. Ähnliche Ausführungen zu dieser Variante lassen sich in der Collection des Mobilier national bestaunen (siehe z.B. https://collection.mobilier-national.fr/objet/GME-15172-001).

 

Der fantasievolle Dekorationsstil des Rokokos

Im Vergleich zum Régence-Stil beschränkte sich die Epoche des Rokokos nicht nur auf Frankreich, sondern verbreitete sich ab circa 1730 in ganz Europa. Zum Charakter des Rokokos zählten vor allem eine Verspieltheit, Leichtigkeit und Eleganz, welche durch die Form und das Dekor ausgedrückt wurden. Zentrales dekoratives Element war die Rocaille, das Muschelwerk, woraus sich auch später die Begriffsbezeichnung des Rokokos ableitete.

Die Sitzmöbel des französischen Rokokos, auch als Louis-quinze-Stil bezeichnet, entwickelten sich aus der Tradition des Régence: Die geschwungene Form der Beine, die in Ballen-, Kugelklauenfüße oder Volutenabschlüsse endete, war bereits bekannt. Doch verlor die gesamte Stuhlform weiter an Strenge, was sich besonders an der Formgebung der gerundeten Rückenlehnen mit bogenförmiger Bekrönung und profiliertem Rahmen zeigte. Ebenso wiesen die Sitzmöbel häufig eine gefasste Oberfläche auf, welche sich in bevorzugt zarten Rokokofarben präsentierten: z.B. Meergrün, Hellblau, Gelb, Lila oder Weiß gepaart mit feinen Vergoldungen. Zugleich spielte der Komfort eine wichtige Rolle, weshalb auch die Fauteuils und Bergèren häufig mit voluminösem Sitzkissen ausgestattet waren. Mit dem Verlangen nach bequemen Möbeln entwickelte sich mit der Chaise longue – einem Sessel mit Fußbank – ein neues Möbelstück, das ein Vorläufer des Liege- bzw. Ruhemöbels darstellte.

Die Beliebtheit des Rokokos in Europa verbreitete sich einerseits mittels der Kunsttischler, die dafür extra nach Frankreich reisten, um sich vom Dekorationsstil vor Ort inspirieren zu lassen. Andererseits fertigten einige französische Kunsthandwerker auch Stichwerke ihrer Entwürfe für die geschnitzten Rokoko-Elemente an, was für eine schnellere Verbreitung des Stils in den angrenzenden Ländern sorgte.

Im Vergleich zum französisch klassischen Rokoko bildeten sich die Stilmerkmale in Deutschland noch reicher und überschwänglicher aus. Hierbei prägten sich vor allem zwei regionale Stile aus; dies waren das bayerische und das friderizianische Rokoko. Die Gestaltung der Möbel wurde besonders von der Idee des Raumkonzepts als Gesamtkunstwerk bzw. von den jeweiligen thematischen Ausprägungen beeinflusst. Beliebte Themen betrafen häufig die Natur, den Garten oder fernöstliche Exotik, wie zum Beispiel die Chinoiserie. Die Plastizität und Qualität der Schnitzereien, die sich an den Sitzmöbeln des deutschen Rokokos zeigten, galten als Charakteristikum und verdeutlichten den repräsentativen Maßstab für die Residenzen in Deutschland wie München, Würzburg oder Potsdam. Ein beeindruckender Vertreter dieser Zeit ist eine Garten-Sitzgarnitur, die für Schloss Seehof in Bamberg um 1763/64 entworfen wurde und sich mittlerweile im Metropolitan Museum of Art in New York befindet (siehe https://www.metmuseum.org/art/collection/search/231926). Die Rückenlehne suggeriert in diesem Fall die Nachempfindung eines Laubengangs mit geschnitztem Gitterwerk, Blättern und Blüten.

 

Der englische Stil in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigte sich im Vergleich zu Europas Festland in England eine gänzlich andere Mode. Der Einrichtungsstil und die Gestaltungsformen unterlagen überwiegend dem englischen Einfluss, welcher eine bewusste Ablehnung des Prunkstils in Frankreich darstellte. Es fanden sich überwiegend „dunkle“ Möbel in den Einrichtungen wieder, da vor allem die Verwendung von Nussbaumhölzern beliebt war. Häufig bestanden die Sitzmöbel aus Walnussholz oder Eichenholz mit Walnussfurnier.

Während der Regierungszeit von George I. (1702-1714) und George II. (1726-1760) entstand der sogenannte frühe bzw. mittlere Georgian-Stil. Der englische Stuhl von damals verfügte über ein massives, schmales Brett im Rahmen der Lehne, das meist vasen- oder balusterförmig gearbeitet war. Die Form der Lehne war schmal und abgerundet. Die Sitzfläche zeigte eine leicht geschwungene Form und wies meist einen lose eingelegten Polsterrahmen auf. Als weiteres typisches Merkmal galten die Cabriole-Beine, die in Ballen- oder Kugelklauenfüße übergingen. Die Ausführungen dieser Stühle waren oft sehr schlicht; dekorative Elemente wurden nur in reduzierter Form verwendet, wie auch ein Exemplar aus der Victoria & Albert Collection in London veranschaulicht (siehe https://collections.vam.ac.uk/item/O119026/chair-unknown/).

Ab dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts veränderte sich die Mode hin zum viereckigen Sitz, die Zargen und Kniebeine wurden dabei gerne mit geschnitzten oder applizierten Muschel- und Arkanthusmotiven verziert. Die Materialwahl fiel von nun ab meist auf Mahagoniholz. Insgesamt zeichnete die meisten Sitzmöbel eine Leichtigkeit aus, die auch von einer gewissen Verspieltheit geprägt war – wenn auch anders als beim Rokoko. Den Höhepunkt dieser Entwicklung zeigten die Stuhlentwürfe von Thomas Chippendale ab 1750. Charakteristisch für den Chippendale-Stuhl war die Rückenlehne mit geschweiftem oberem Rahmen und dem noch feiner geschnitzten, durchbrochenen Mittelbrett sowie kunstvollen Cabriole-Beinen mit Voluten als Fußabschluss. Die dekorativen Elemente waren zum Teil von fernöstlichen Motiven, aber auch von gotischen Elementen beeinflusst.


Ob nun in Frankreich, Deutschland, England oder anderen europäischen Ländern – in weiten Teilen Europas herrschte ein Verlangen nach einem überschwänglichen, fantasievollen Dekor in der Möbelkunst. Stilistisch war die Mitte des 18. Jahrhunderts daher noch sehr von den Ausschweifungen des Rokokos geprägt. Allerdings wurden vermehrt Stimmen laut, die eine Abkehr davon forderten und eine Rückkehr zu klassischeren Formen der Vergangenheit verlangten. Maßgebend zu diesem Wandel trugen besonders zwei Ereignisse bei, mit denen im nächsten Teil zur Stilgeschichte die Epoche des Klassizismus eingeläutet wird.

 

Literaturquellen:

Lydia L. Dewiel: Stühle & Sessel. Stuhldesign vom Barock bis zur Moderne. München 1999.

Judith Miller: Möbel. Die große Enzyklopädie. Vom Barock bis zur Gegenwart. London 2005.

Judith Miller: Der Stuhl. Stil, Design, Kult. München 2010.